Ingenieursdenken und Kundenzentrierung – wie geht das zusammen?

Verringerung der Durchlaufzeiten, Reduzierung des Papiereinsatzes, Vermeidung von manuellen Schnittstellen und ähnliches mehr. All dies sind Themen, die mir Unternehmen nennen, wenn wir über Digitalisierung sprechen. Die Unternehmen haben das Thema also auf dem Radar. Doch wird wirklich in den Dimensionen einer Transformation gedacht?

Erst die Digitale Transformation ermöglicht die Veränderungsprozesse, bei denen auf Basis neuer Technologien innovative Wertschöpfungspotenziale umgesetzt werden, z.B. über neue Geschäftsmodelle, intelligente Service-Plattformen oder Wertschöpfungsnetzwerke. Viele Unternehmen bleiben zurzeit in der Phase der Prozessdigitalisierung hängen. Das ist per se noch nichts Schlechtes, doch lassen sich dadurch nicht die Potenziale erschließen, die prinzipiell erschlossen werden könnten. Vor allem dann, wenn Unternehmen weiterhin erfolgreich agieren und gegen den Wettbewerb bestehen wollen.

Sicherlich ist es wichtig, die Unternehmensprozesse durchgängig zu gestalten. Auch macht es Sinn, Verfahrensketten so zu gestalten, dass sie ohne manuellen Eingriff funktionieren. Aber ist das der Quantensprung, der die erhofften Nutzenpotenziale bringt?

Nein! Das sind Themen, die nicht den großen Wirkungshebel erzeugen. Diese Themen sind eine Conditio sine quo non für eine Transformation, also die Voraussetzung dafür, aber nicht der wirkliche Nutzen.

Projektbeispiel: der mittelständische Maschinenbauer investiert in Smart Services

Aus meiner Projektarbeit ist hier als Beispiel ein mittelständischer Maschinenbauer erwähnt. Die Geschäftsführung wundert sich, warum die vielfältigen Services, die das Unternehmen zu ihren Maschinen anbietet, nicht die entsprechende Nachfrage bei den Kunden erzielen. Services, die zur automatischen Optimierung oder zur Leistungssteigerung der Maschinen dienen. Alles Services, die das eigene Produkt, also die Produktionsmaschine, performanter machen. Digitale Services, die das Leistungsportfolio der Maschinen ergänzen. Leider nur nicht mit dem erhofften Erfolg. Denn die Kunden sind bis dato nicht bereit, für diese Services zusätzliches Geld auszugeben.

Wo liegt der Fehler im System? Nach klassischer Ingenieurskunst wurde das Produktportfolio um zahlreiche Features ergänzt. Wohl sehr gute Leistungsergänzungen, aber nicht so nutzbringend, dass Kunden bereit sind, dafür in relevantem Maße mehr zu bezahlen. Denn die Kunden sind mit den technologischen Möglichkeiten der Grundmaschinen ausreichend gut versorgt. Zumal sich die Maschinen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit bereits im oberen Marktsegment bewegen. Es gibt also keinen zusätzlichen Nutzen, für den der Kunde willig ist, Geld auszugeben. Metaphorisch übertragen ist der Kunde mit dem vorhandenen Auto ausreichend gut bedient. Zusätzliche Features, wie Spoiler, Sportfahrwerk oder Sportlenkrad sind nicht erforderlich, um das tägliche Geschäft zu bewerkstelligen.

Klassische „Featuritis“

Doch hier liegt der entscheidende Punkt. Die F&E-Abteilung des Maschinenbauers hat Funktionalitäten entwickelt, von denen sie selbst überzeugt waren. Eine Rückkopplung mit den Kunden hat nicht in dem Maße stattgefunden, dass der Kunde in die Entwicklung entscheidend mit einbezogen wurde. Klassisches Feature-Denken der letzten zwanzig Jahre. Bislang auch sehr erfolgreich, keine Frage.

Hier muss aber ein Paradigmenwechsel einsetzen, ein Umdenken ist erforderlich: eine stärkere Kundenzentrierung. Denn sonst wird die ohnehin schon mäßige Erfolgsquote bei Innovation von hinlänglich 20 Prozent noch geringer ausfallen. Investitionen und Energie in der Entwicklung verpuffen. Und der Wettbewerber überholt rechts.

Wie jedoch schafft es ein Unternehmen, sich in die Schuhe seiner Kunden zu begeben, um zu verstehen, welche Probleme es zu lösen gilt? Mit Kundenzentrierung ist nicht die hinlänglich überstrapazierte Vokabel der Kundenorientierung gemeint. Es geht vielmehr darum, dem Kunden dabei zu helfen, seine Aufgaben zu erledigen.

Warum kommt nur niemand auf die Idee, mit dem Kunden mal wirklich zu sprechen? Seine Situation hinreichend zu analysieren und ihn gar in den Entwicklungsprozess einzubeziehen?

Milchshake-Dilemma auch bei Industrie 4.0

Den klassischen Ingenieursansatz um den kundenzentrierten Blick anzureichern – darum geht es. Der renommierte Havard Prof. Clayton M. Christensen beschreibt dies sehr anschaulich in seinem neuesten Buch: Competing Against Luck (ISBN: 978-0-06-256523-5).

Anhand des Milchshake-Dilemmas macht er mehr als deutlich, dass die klassischen Entwicklungswerkzeuge nicht mehr ausreichen. Obwohl eine auch in Deutschland sehr bekannte Fastfoodkette über die besten Marketingtools verfügt, mussten sie feststellen, dass es ihnen nicht gelang den Umsatz für Milchshakes zu steigern. Auch wenn sie ihre Kunden intensiv befragt und analysiert hatten, waren sie nicht in der Lage ein verbessertes oder erweitertes Produkt zu platzieren. Nicht der zusätzliche Erdbeergeschmack oder der cremigere Schaum führten zu einem höheren Absatz. Es gelang es ihnen nicht, ihr Faktenwissen entsprechend umzusetzen.

Erst eine neue Denkweise und eine andere Sicht auf das Problem führten zu neuen Fragen und letztlich zum gewünschten Ergebnis: Einer Vervierfachung des Umsatzes.

Übertragen auf den B2B-Bereich und unser Projektbeispiel bedeutet dies, dass gemeinsam mit den Kunden an deren Aufgabenstellungen gearbeitet werden muss. Nur durch das Verstehen der Aufgaben und das Entwickeln der passenden Lösung wird Kundennutzen generiert. Dann ist der Kunde auch bereit, Geld zu investieren. Und auch bereit, seine Daten aus dem Produktionsprozess zur Verfügung zu stellen. Eine Diskussion um die Datenhoheit entsteht erst gar nicht, weil der Kunden den Nutzen versteht und seine Parameter offenlegt.

Die Wahl der richtigen Werkzeuge und des richtigen Vorgehens ist dabei ausschlaggebend. Für eine digitale Kundenzentrierung gibt es kein Standardvorgehen oder eine Blaupause. Es ist wichtig, abzuwägen, welche Tools für das jeweilige Unternehmen am besten geeignet sind. Kann ein agiles Vorgehen helfen oder ist die eigene Organisation damit überfordert? Bringen hybride Ansätze den erhofften Erfolg?

Werteversprechen und Kundenzentrierung

Wichtig ist vor allem der richtige Einstieg. Als ein mögliches Beispiel ist das Value Proposition Design Konzept von Alexander Osterwalder erwähnt. Aufbauend auf den Anforderungen des Kunden (Customer Job) werden neue Produktideen und Services definiert. Diese werden iterativ im engen Schulterschluss mit dem Kunden auf Akzeptanz getestet. Sollte sich ein erster Ansatz für eine Geschäftsmodell als tragfähig erweisen, kann in die Prototypenentwicklung gegangen werden, bevor es letztendlich in den Roll-out geht.

Quelle: Alexander Osterwalder: Value Proposition Design.

Darauf lassen sich in nachfolgenden Schritten weitere Innovationen aufbauen und erfolgreich umsetzen. Innovationen, die dem Kunden Fortschritt bringen, seine Schwierigkeiten lösen und seine Wünsche erfüllen.

Für das Beispiel des Maschinenbauers lassen sich so zum Beispiel zusätzliche Features als Smart Services zu einem Plattformsystem ausbauen. Und dann entwickelt sich der Hebel, um nicht nur über den Einmalverkauf einer Maschine Geld zu verdienen, sondern über Services einen kontinuierlichen Umsatzeingang zu generieren. Firmen, die in diesen Dimensionen denken, transformieren digital.

Was ist Ihre Meinung dazu? Haben Sie Fragen oder ein konkretes Anliegen?

Gerne können Sie mich anrufen unter +49 172 6310421 oder mir eine Email schreiben an os@digitalimpuls.net

Herzlichst, Ihr Olaf Schrödel

 

Über die digitalimpuls GmbH

Die digitalimpuls GmbH unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung von Digitalisierungspotenzialen. Durch konsequente Ausrichtung am Kundennutzen wird die Profitabilität gesteigert und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Dies stärkt die Resilienz in Zeiten, in denen die Anpassungszeiträume immer kürzer werden und die Geschwindigkeit der Veränderungen stetig steigt.